Aus der Mitte entspringt ein Fluss
Knapp vor Ausbruch der Corona-Pandemie besucht Ex-Kollege Hans Tesch die Kroatische Redaktion im ORF Landesstudio in Eisenstadt. Seit der Pensionierung ist der Horitschoner für das Regionalmagazin “Burgenland Mitte” tätig und stellt seinen LeserInnen Menschen vor, die aus deren engeren Heimat - dem Bezirk Oberpullendorf - stammen. Das Portrait der MitarbeiterInnen der Kroatischen Redaktion erscheint im September 2020.
Man spricht Burgenlandkroatisch
von Hans Tesch | Sep 2, 2020
Es ist eine kleine Gruppe – engagiert bei der Sache und beseelt von ihrer Aufgabe: Die Kroatisch-Redaktion im ORF Landesstudio Burgenland. Sie ist das Rückgrat der Entwicklung und Weitergabe des Burgenlandkroatischen. In führenden Funktionen arbeiten Frauen und Männer aus dem Mittelburgenland – aus Frankenau, Großwarasdorf, Nikitsch, Kroatisch Minihof und Unterpullendorf.
Klein, aber fein ist sie: die Kroatisch-Redaktion im ORF-Funkhaus in Eisenstadt. Man trifft auf eine Gruppe mit hohem Sendungsbewusstsein – und das in doppeltem Sinne: Die Mitarbeiter gehen fast schon missionarisch an manche Themen heran und sie arbeiten gezielt für „ihre“ Sendungen auf Burgenlandkroatisch. Diese, neben Deutsch, zweite offizielle Sprache des Landes unterscheidet sich wesentlich von der heutigen Hochsprache in der Republik Kroatien. Sie ist zwar vom Standardkroatischen abgeleitet, aber vor Ort im Burgenland weiterentwickelt worden. Der Leiter der Kroatisch-Redaktion Fred Hergovich betont die besondere Leistung von Radio Burgenland: „Unsere Redaktion ist ein besonderes Medium. Wir entwickeln einerseits das Burgenlandkroatisch weiter, andererseits liefern wir in dieser Sprache Informationen, die es sonst nirgendwo gibt. 90 von 100 Meldungen sind selbst recherchiert!“
Aus der Volksgruppe, für die Volksgruppe
Ob Redaktion, Moderation, Produktion oder Sekretariat – das Mittelburgenland stellt praktisch die Hälfte der Beschäftigten. Der Chef kommt aus Frankenau/Frakanava. Er ist 60 Jahre alt und leitet seit 15 Jahren die Kroatisch-Redaktion, die derzeit 16 Aktive zählt. Hergovich verweist auf die Leistung für die Kroaten: „Die Redaktion hat von Beginn an versucht, die ganze Volksgruppe zu vereinen, von Parndorf im Norden bis Güttenbach und Reinersdorf im Süden. Das ist gelungen. Jetzt kann man von einer Szene sprechen. Wir haben eine Plattform geschaffen, die 48 kroatische Dörfer beziehungsweise Gemeinden verbindet.“ Nicht zu vergessen: In den Ortschaften werden unterschiedliche Dialekte gesprochen, die die verschiedenen Herkunftsregionen widerspiegeln.
Reporter ohne Grenzen
Die Zielgruppe der Sendungen skizziert Hergovich so: Ungefähr 20.000 Kroaten gibt es im Burgenland, weitere 5.000 bis 10.000 burgenländische Kroaten leben in Wien. Und betreut werden auch fünf Orte in der Slowakei und 20 Orte in Ungarn, in denen Burgenlandkroatisch gesprochen wird. „Diese Orte sind unseren gleichgestellt. Wir sind ein Sender über die Grenzen hinweg.“ Betreut werden also die Nachkommen der Kroaten, die vor rund 500 Jahren im Zuge der Türkenfeldzüge hierher ins damalige Westungarn geflohen sind oder von den herrschaftlichen Besitzern gezielt aus Kroatien in entvölkerte Gebiete im heutigen Burgenland umgesiedelt wurden.
Täglich 42 Minuten
Die Redaktion – aus der seit 41 Jahren kroatisch-deutsche Sendungen im Radio ausgestrahlt werden – sendet im Durchschnitt im Radio täglich 42 Minuten in kroatischer Sprache, den größten Teil zwischen 18 und 19 Uhr in Form von Magazinen, Kurznachrichten auch Mittags. Ein Highlight ist das beliebte, traditionelle musikalische Wunschkonzert am Wochenende.
Der Anfang vor 40 Jahren war sehr schwierig. „Es mussten ein Wörterbuch und Grammatikregeln geschaffen werden. Einzelfälle zeigen die Komplexität. Für Schuhe gibt es zehn kroatische Wörter im Wörterbuch“, erklärt Hergovich.
Wörter finden und erfinden
Ein Wegbereiter des Burgenlandkroatischen ist Jurica Csenar. Der in Unterpullendorf/Dolnja Pulja geborene und seit der Heirat in Oslip/Uzlop wohnende Journalist ist seit der Gründung der Minderheiten-Redaktion dabei. Csenar, der vor seiner Tätigkeit im ORF Chefredakteur der kroatischen Wochenzeitung „Hrvatske Novine“ war und auch Gedichte auf Burgenlandkroatisch schreibt, erinnert sich noch gut an den mühsamen Start: „Ich habe in den Anfangszeiten gezielt in bestimmten Ortschaften, oft auf den Feldern, Leute gesucht, die noch Kroatisch sprechen können. Und zum Glück gefunden. Von Hasendorf bis Steinfurt oder Potzneusiedl.“ Und stolz erzählt er von „seinen“ treuen Hörern: „Die Leute haben sich sogar den Wecker gestellt, um die Kroatisch-Sendungen im Radio nicht zu verpassen.“
Jurica Csenar gilt in der Redaktion als „Sprachpolizist“. Er ist Mitglied der Sprachkommission im Wissenschaftlichen Institut der burgenländischen Kroaten und ist an der Erweiterung des Burgenlandkroatischen Wörterbuchs wesentlich beteiligt. „Es war herausfordernd, anhand des bestehenden Wortschatzes Lösungen für neue Worte zu finden,“ sagt Csenar. „Für sehr vieles im Alltag hat es keine kroatischen Bezeichnungen gegeben, wie zum Beispiel für Kläranlage oder Geisterfahrer, für Spatenstich oder Frühschoppen. Wir haben hier nicht automatisch Wörter aus Kroatien übernommen, sondern auf den einheimischen Sprachgebrauch geachtet oder gleich ein neues Wort erfunden,“ beschreibt Csenar die Pionierphase. Und einige alte Bezeichnungen bekamen eine neue Bedeutung. So werde der moderne Mähdrescher so bezeichnet, wie die alte Dreschmaschine: „mlatilica“, nennt Jurica Csenar ein Beispiel. Wer beim Moderieren im Radio genau zuhört, wird aber auch das eine oder andere Wort hören, das aus der deutschen Mundart entlehnt worden ist, wie „vešmašina“ für Waschmaschine, „štrikati“ für stricken oder „floša“ für Flasche.
Radio und Fernsehen ersetzen die kroatische Großmutter
Ein zentrales Problem ist die Weitergabe der Sprache. Die alten Familienstrukturen gibt es nicht mehr. Oft kann ein Elternteil nicht Kroatisch sprechen, sehr oft fehlen zum Reden die Großeltern im Hause. Redaktionsleiter Fred Hergovich analysiert die Situation der Volksgruppe realistisch: „Die Anzahl der Kroatischsprechenden sinkt. Doch diejenigen, die sprechen, können es besser als früher.“
Dazu tragen auch die ORF-Sendungen bei. Vor allem das attraktive Fernseh-Magazin „Dobar dan Hrvati“, das seit 30 Jahren jeden Sonntagnachmittag auf ORF 2 ausgestrahlt wird. Hier profitieren auch diejenigen der Volksgruppe, die nicht oder nicht mehr so gut sprechen können, aber die Inhalte sehr wohl verstehen.
Einer, der seit 5 Jahren im TV „Dobar dan Hrvati“ moderiert, ist der Großwarasdorfer Marin Berlakovich. Er moderiert im ORF aber auch deutschsprachige Radio-Sendungen. Die kroatische TV-Moderation war jedoch sein „Lebensziel und Traum“, wie er sagt. Und er will durch seine Tätigkeit das „oft etwas veraltete Bild unserer Volksgruppe in modernere Bahnen lenken“. Berlakovich hat das Studium der Slawistik mit den Sprachen Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Russisch abgeschlossen und sich in seiner Diplomarbeit mit der Wochenzeitung der burgenländischen Kroaten befasst. Berlakovich hat über kroatische Folklore, Brauchtum, Tänze und Trachten geforscht. Und er wünscht sich kroatische Kurznachrichten auch in der Früh, mehr Sendungen und ein tägliches, kurzes kroatisches TV-Magazin im Internet.
Tamburica spielen – nicht nur zur Unterhaltung
Was noch gut funktionieren dürfte, ist die Sprachweitergabe durch die Tamburica-Gruppen. Die Tamburica, das Nationalinstrument in Kroatien, gilt heute als Identitätssymbol der burgenländischen Kroaten. Rund 40 aktive Musikgruppen gibt es im Burgenland. Im Mittelburgenland sind es die Tamburicagruppen in Nikitsch, Unterpullendorf, Großwarasdorf, Kroatisch Geresdorf, Kleinwarasdorf, Kroatisch Minihof, Frankenau und im Gymnasium Oberpullendorf. Sie funktionieren wie Sprachschulen für Jugendliche, weil diese bei den Orchesterproben wie selbstverständlich untereinander Burgenlandkroatisch sprechen.
Nicht zu übersehen ist die immer stärker genutzte Möglichkeit, im Internet auf hrvati.orf.at laufend Neues zu erfahren: zu lesen, zu hören und TV-Sendungen aus dem Archiv abzurufen.
ORF-Sendungen stiften Identität
Ob Fernsehen oder Radio, die ORF-Sendungen kommen dem Bedürfnis der Menschen nach Zugehörigkeit und Identität entgegen. ORF-Landesdirektor Werner Herics sieht zwei Aspekte als besonders bedeutend an: „Der unmittelbare Lebensraum ist den Menschen das Wichtigste – und diesen bilden wir ab. Und wir springen dort ein, wo traditionelle Strukturen bei der Sprachweitergabe versagen – in den Familien und in der Kirche aufgrund ihres sinkenden Stellenwerts.“ Herics, der aus Schandorf/Čemba stammt und selbst gut Burgenlandkroatisch spricht, vergisst nicht, auf die tragenden Säulen der Sprachpflege hinzuweisen, auf die Kroatisch-Klassen in den Gymnasien, auf die engagierten Tamburica-Gruppen und auf den öffentlich-rechtlichen ORF: „Die Sprache Burgenlandischkroatisch ist für die Volksgruppe identitätsstiftend. Und unsere ORF-Redaktion tut alles, um das Burgenlandkroatisch weiterzuentwickeln und die Sprache zu verbreiten. Radio und Fernsehen sind entscheidend für die Zukunft der Minderheitensprache – und immer stärker die Online-Informationsplattform volksgruppen.orf.at.“
Burgenlandkroatisch retten!
Auch die technischen Entwicklungen helfen der alteingesessenen Volksgruppe, ihre Sprache zu retten. Durch die Digitalisierung wurde es der kleinen Kroatisch-Redaktion aus Eisenstadt sogar möglich, Hörer und Seher auf der ganzen Welt zu gewinnen. So erfährt – wie in der eigenen Sendung berichtet – eine Frau aus Nikitsch/Filež, die in Australien lebt, im ORF-Fernsehen, was in ihrer Heimat los ist. Und sie hört die Berichte auf Burgenlandkroatisch, in der Sprache, die sie ihrem Kind weitergeben möchte.